Barrierefreie Sprache: Versicherungs-texte leicht gemacht – geht das?
Ein Aufzug neben der Treppe, ein stufenfreier Einstieg in die S-Bahn, breitere Türen in Behörden: Im alltäglichen Leben ist Barrierefreiheit in vielen Bereichen angekommen. Aus gutem Grund, denn Inklusion und Teilhabe sind entscheidend für ein gleichberechtigtes Miteinander. Doch wie ist es im digitalen Raum? Auch hier gibt es Möglichkeiten, alle Menschen teilhaben zu lassen – mit barrierefreier Sprache auf inklusiven Webseiten. Auch Versicherer können sie nutzen, komplexe Inhalte erfordern nur etwas mehr Aufwand in der „Übersetzung“.
Hürden für Menschen im digitalen Raum
Treppenstufen sind für manche ein unüberwindbares Hindernis – zum Beispiel für Menschen, die mit dem Rollstuhl fahren. Das ist Allgemeinwissen. Doch wie kann eine Webseite Barrieren enthalten? Auch hier gibt es verschiedene Herausforderungen. Etwa, wenn Personen ein eingeschränktes Sehvermögen besitzen. Wie sollen sie Texte und Grafiken erfassen? Eine mögliche Lösung sind Screenreader. Sie setzen voraus, dass aussagekräftige Bild- und Grafikbeschreibungen hinterlegt sind. Ist das der Fall, hilft die Technik dabei, Inhalte aufzunehmen, ohne die Seite zu sehen.
Eine weitere Hürde auf Webseiten ist die Sprache selbst. Wer Lese- und Verständnisschwierigkeiten hat, wird von komplexen Schachtelsätzen herausgefordert. Mit der Folge, dass eine Teilhabe eingeschränkt oder nicht möglich ist. Um diese Hürden abzubauen, wurde barrierefreie Sprache entwickelt. Wie funktioniert sie, wodurch zeichnet sie sich aus und ist barrierefreie Sprache für Versicherer überhaupt realisierbar? In diesem Beitrag erfährst du mehr dazu.
Was ist barrierefreie Sprache?
Barrierefreie Sprache wird auch als einfache oder leichte Sprache bezeichnet. Sie ist zwar innerhalb gewisser Grenzen definiert, zum Beispiel als Leichte Sprache gemäß Duden. Es gibt aber keine einheitliche Formel, nach der ein Text in barrierefreier Sprache entsteht. Das lässt Spielräume und macht es zur Aufgabe von Autorinnen und Autoren, einen Sachverhalt möglichst klär, präzise und einfach darzustellen.
Wenn du einen Text in barrierefreier Sprache schreiben möchtest, kannst du dich an den folgenden Richtlinien orientieren. Zur Veranschaulichung findest du außerdem Beispiele, wie du leichte Sprache anwendest.
Kurze Sätze: Nebensätze machen es beeinträchtigen Menschen schwer, Inhalte aufzunehmen. Leichte Sprache arbeitet daher mit kurzen Hauptsätzen, um Komplexität abzubauen. Im Zweifelsfall gilt die Regel: Mach einen Punkt statt einem Komma.
Ein Satz, ein Gedanke: Ideal ist es darüber hinaus, pro Satz jeweils nur eine Information aufzugreifen. So fällt es Lesenden leichter, den Sinn zu entnehmen.
Synonyme vermeiden: Der Versicherer, die Gesellschaft, der Versicherungsgeber, Synonyme sind in literarischen Texten sinnvoll, schaffen in Gebrauchstexten aber unnötige Hürden. Stattdessen sind Wortwiederholungen hilfreich. Nutze also möglichst immer das gleiche Wort für eine Sache. Auch wenn der Text dadurch stilistisch ein wenig eintönig erscheint, ist er deutlich leichter zu verstehen.
Alltagssprache statt Fremdwörter: Leichte Sprache nutzt tägliche Formulierungen statt Fachsprache, zum Beispiel “Briefumschlag“ und nicht “Kuvert“.
Verbalstil statt Nominalstil: Substantivierungen erschweren den Lesefluss. Nutze, wenn möglich, Verben statt Nominalstil. “Hier bekommst du deine Unterlagen“ und nicht “Hier findet die Ausgabe der Unterlagen statt“.
Aktiv statt Passiv: Aktive Formulierungen sind einfacher zu verstehen als passive. Schreibe “Das Team hilft gerne weiter“ statt “hier wird Antragstellenden weitergeholfen“. Mit einer persönlichen Ansprache gestaltest du die Aussage noch greifbarer: „Wir helfen dir. Wende dich an unser Team.“
Negationen vermeiden: Es ist nicht schlimm, nicht alles beim ersten Mal zu verstehen. Wie jetzt? Verneinungen sind klassische Fallstricke in der Sprache. In der Regel sind sie vermeidbar: Es ist in Ordnung, wenn du zweimal lesen musst.
Darüber hinaus helfen Layout und Strukturierung dabei, einen Text einfach lesbar zu machen. Nutze mindestens Schriftgröße 14 und vermeide Besonderheiten wie kursive Schrift. Absätze sollten zudem nicht länger als 50-100 Wörter sein und passende Zwischenüberschriften besitzen.

Barrierefreiheit von Texten prüfen
Ist mein Text barrierefrei? Das lässt sich tatsächlich nicht pauschal sagen. Wie leicht oder schwer ein Text zu lesen ist, ist darüber hinaus von der subjektiven Wahrnehmung abhängig. Ein Ansatz, die Komplexität objektiv zu bewerten, ist der Lesbarkeitsindex. Dabei wird anhand von Kennzahlen wie mittlerer Satz- und Wortlänge ein Zahlenwert ermittelt. Dieser Wert gibt dir eine Orientierung, ob ein Text tendenziell leicht oder schwer lesbar ist. Eine Möglichkeit zur Online-Prüfung kürzerer Texte gibt es zum Beispiel hier. Allerdings solltest du immer zusätzlich dein eigenes Sprachgefühl oder ein menschliches Lektorat hinzuziehen, um die Barrierefreiheit zu beurteilen.
Barrierefreie Sprache ist gutes Recht
Leichte Sprache ist nicht nur ein gutgemeintes Angebot. Menschen mit Beeinträchtigungen haben ein Anrecht auf Gleichberechtigung. In Artikel 3 des Grundgesetztes steht unmissverständlich: Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Das gilt selbstverständlich auch für Menschen mit Lese-Rechtschreibstörung wie Legasthenie. Konkreter sind die Anforderungen an Leichte Sprache im Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (§ 11 Verständlichkeit und Leichte Sprache) sowie in den Sozialgesetzbüchern I und X definiert. Wer eine Webseite betreibt, sollte daher Möglichkeiten zum Barriereabbau nutzen. Konkret lösen viele Webmaster das, indem sie Informationen zweifach zur Verfügung stellen – einmal „normal“ und einmal in einer überarbeiteten Version in barrierefreier Sprache.
Auch in Hinblick auf das neue Barrierefreiheitsstärkungsgesetzt (BFSG), welches ab dem 28. Juni 2025 in Kraft tritt, müssen Versicherer digitale Produkte und Dienstleistungen barrierefrei gestalten.

Komplexe Verträge und barrierefreie Sprache – Herausforderung für Versicherer
Gerade im Versicherungswesen ist die Bereitstellung leicht verständlicher Texte eine Herausforderung. Es gibt sogar Stimmen, die behaupten, komplexe Versicherungsthemen, rechtssichere Formulierungen und leichte Sprache passen nicht zusammen. Das stimmt aber nicht. Vielmehr ist es eine Frage der Aufbereitung der – zugegeben – häufig komplexen Inhalte. Wie das gelingen kann, zeigen die folgenden Best Practices:
Strategien für barrierefreie Sprache im Versicherungswesen
Klarheit von Anfang an: Möglichst schon auf der Startseite sollte sich ein Verweis auf die Inhalte in leichter Sprache finden. So gelingt Hilfesuchenden ein unkomplizierter Einstieg.
Modularer Aufbau: Je kleinteiliger der Aufbau deiner Produkte ist, umso einfacher wird es, Rechtssicherheit und Barrierefreiheit zu vereinen. Es ist einfacher, eine einzelne Komponente zu- oder abzuwählen, als einen ganzen Strauß von Optionen zu überblicken. Ein guter Trick: Listen sind viel unkomplizierter als lange Fließtexte.
Kein Fachjargon: Monatlicher Beitrag statt Versicherungsprämie, Versicherungsschutz statt Deckung – mit einer geschickten Wortwahl ist es möglich, Fachbegriffe rechtssicher zu vereinfachen. Im Zweifelsfall hilft eine Erklärung.
Gut zu wissen: Barrierefreiheit beginnt schon bei der Produktgestaltung. Klare, verständliche Tarife helfen dabei, eine passende Police zu finden. Davon profitieren nicht nur Menschen mit einer Einschränkung, sondern alle, die sich für einen neuen Versicherungsvertrag interessieren.